In der Logik der Analogie lässt sich die philosophische Betrachtung, der Sinn des Lebens läge im Sein, leicht auf das Automobil transponieren: Der Sinn des Automobiles liegt in dessen Bewegung. Störend dabei ist einzig nur, dass sich das Auto zumeist sinnenthoben einem Zweck unterzuordnen hat, der darin liegt, das Medium einer Wegstrecke von A nach B zu bedeuten.

Sinnenthoben? Während das Auto, das Motorrad oder das erste Moped speziell ein grösseres Freiheitsgefühl zu vermitteln vermag als die einstige Marlboro-Werbung, steht man in der Realität schon sehr bald vor der Freiheit Endlichkeit: Wir sind hier in Tirol! Hohe Verkehrsdichte, unglaublich viele Ampeln mit roten Wellen im Städtischen, eine steigende Zahl an Radarfallen oder Kontrollen überall und selbst die Luft darf sich nicht mit mehr als 100 km/h auf der Autobahn bewegen (IG-Lufthunderter).

Die Konsequenz: Man schätzt ein paar Kilometer, öfter aber nur ein paar hundert Meter kurvenreichen Fahrspaßes und findet sich hinter einem aus Sicherheitsgründen unüberholbaren Verkehrsteilnehmer wieder, in ausweglose Agonie verfallend.


car_ving_tour18_1_8772

 

Daraus leitet sich die Frage ab, wo man das Fahren an sich überhaupt noch genießen kann und dieses Thema wurde zum Inhalt eines Gespräches mit meinem Urfreund Martin. Denn auch er leidet aktiv unter den Restriktionen, die er als Autofahrer, aber mehr noch als leidenschaftlicher, geübter Biker zu verkraften hat. Und weil er schon länger über dieses Thema nachgedacht hatte, war er einer Idee verfallen. Nämlich jener, unter größtmöglicher Vermeidung von Autobahnen oder großen Straßen, also vorwiegend auf Landstraßen oder kleiner Nebenfahrbahnen und unter großräumiger Mißachtung etwaiger Sehenswürdigkeiten nach Durrës, Albanien, und retour zu fahren. Zeitfenster: 8 Tage. Kilometer: ca. 3000.

Da bin ich natürlich dabei, denn der Lustgewinn erscheint mir durch den latenten Triebaufschub zum besten Zeitpunkt zu kommen. Also beginnen wir mit den knappen Vorbereitungen: Martin bringt seine noch unter Kaiser Ōtomo gefertigte Kawasaki KLE auf Vordermann und ich verfüge mich in deutsche Wertarbeit für die Reise als Begleitfahrzeugfahrer: Martins VW T5 Multivan, in dem wir auch pennen werden. Die Planung der Fahrt umfasst den ersten Tag, danach werden wir nach Landkarte und Zufall fahren.

 

car_ving_tour18_1_8771

 

Weil nun der Verdacht aufkeimen könnte, dass Martin mit seiner Ikone des Altertums zwei Tage in Durrës auf mich warten müsse, sei vorweg klargestellt, dass der VW über den famosen 5-Zylinder-TDi verfügt, der alles andere als fad ist. Er spielt sein Drehmoment über die 6-Gang-Automatik souverän aus und geriert sich zumindest subjektiv als Rakete und kalte, wahre Zahlen interessieren eh nur graue Buchhalter.


Vorweg erwähnt: Es wurde eine Tour, wie sie hätte schöner und abenteuerlicher nicht sein können. Es war pures Fahren und zwar nicht im Sinne von möglichst schnell, sondern zügig in sportiven Kurvenradien unterwegs zu sein, dem Höchstgenuß verpflichtet. Und weil wir immer wieder von Streckenabschnitten überrascht, eingenommen und hingerissen wurden, sei diese Tour auch in segmentierter Form eine Empfehlung an alle, die gerne Fahren um des Fahrens Willen. Jede der Etappen hat etwas für sich in der landschaftlichen Besonderheit und der Streckenführungen. Es sind Pässe zu überwinden, einspurige, engkurvige Straßen zu meistern, Berge auf Schotterpisten zu erklimmen, Landstraßen durch Wiesen und Wälder zu folgen und breitspurige Küstenstraßen im flow zu nehmen……und Albanien halt. Dazu später mehr.


Erste Etappe | Hall i.T. – Bruneck – Kreuzbergpass – Tolmezzo – Udine – Triest

 

tour_1

355 Kilometer, 1000 Kurven, 0 Autobahn.

car_ving_tour18_104359

18. Mai, 7 Uhr 02 – es geht los.

 

Wir nehmen die Römerstraße, pfeifen über den Brenner und halten Richtung Bruneck. Bis dorthin herrscht Berufsverkehr, ab dort auch wieder. Ab dem keltischen Innichen, wo der Kreuzbergpass seinen Anfang nimmt, allerdings nicht mehr. Wir wedeln behände rauf und wieder runter, geraten danach in abenteuerlich kurviges Geläuf.

 

car_ving_tour18_104342

Oben auf dem Kreuzbergpass (oder Via Claudia Augusta Altinate), 1636 m.

 

Der Appetit auf Kurven ist angeregt und wir rauschen nach Tolmezzo. Ab hier wird die Route erwartungsgemäß ein bisschen unsexy, aber da muss man durch. Kommt ja noch. Im Radio läuft bereits Italopop und der Espresso dient als Additiv für den fahrfreudigen Geist. Udine, von wo aus ein kurzer Rhythmus aus Geraden und Kreisverkehren einen Espresso nahelegt, liegt hinter uns und nach Sagrado gewinnt die Strecke wieder an Phantasie. Schon bald sehen wir das Meer zum ersten Mal.

 

car_ving_tour18_1_8282

Links Schiff, rechts Landzunge mit Isonzo-Mündung.

 

Das Ziel unsererer ersten Etappe ist Triest und wir cruisen entspannt über die Küstenstraße, die Strada Costiera. Mit geöffneten Fenstern, italienischer Musik, adriatischen Temperaturen und duftenden Blüten vernehme ich das KnatternMartins prähistorischer Kawa vor mir aus größerer Distanz, die ich halte, um nicht auch noch deren Gestank im Cockpit zu haben.

 

car_ving_tour18_104344

Ein Blick nach Triest.

 

In Triest angekommen breiten wir die Straßenkarte aus, soweit es die Weingläser zulassen. Google Maps ist dabei behilflich, Straßen von kleiner Rangordnung zur Erfindung der Route des nächsten Tages beizusteuern. Wir wollen an jedem Tag so um die 370 km schaffen, was auf hauptsächlich Landstraßen eine Fahrtzeit von 5 – 7 Stunden bedeuten wird. Für mich im VW kein Problem, denn mein Sessel ist fein gepolstert und hat Armlehnen. Martin allerdings beginnt schon heute nach 3 Stunden auf seinem Sattel rumzuturnen, was zu vielen kleinen Päuschen führt, damit sich der Sattel von Martin erholen kann.

 

car_ving_tour18_1_8286

Triest, bis 1918 österreichisch.

 

Triest ist schon lang aus dem Winterschlaf erwacht, an den Promenaden hängen Jugendliche ab und schicken sich gegenseitig whatsapp-Nachrichten. Die älteren Semester reden miteinander und es riecht nach Gras. Drin in der Stadt gibt es Live-Gigs von besseren und grottenüblen Bands – unterhalten fühlt man sich in jedem Falle.


Etappe 2 | Triest – Brest – Rijeka – Senj – Starigrad

tour_2

 

Aus Triest ist man flott wieder draussen, wenn man früh genug aufsteht. Keine halbe Stunde nach dem Frühstück passieren wir in Crociata die Grenze nach Slowenien, von wo eine zauberhafte Straße durch kleine, enge Dörfchen, in erster Linie aber durch Wiesen und Wälder führt. Es herrscht eine Verkehrdichte von +/- 0, niemand ist vor uns, nicht mal irgendein Gegenverkehr zwingt uns dazu, außerplanmäßig die Tempi vermindern zu sollen. Wir bemerken, dass wir in vollkommener Konzentration in eine Art Trance verfallen: Anbremsen, einlenken, Gas geben. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen, sodass Martin glaubt, er sei schneller und hole aus den abgefahrenen Winterreifen das letzte Quäntchen an Haftung, die sie zu übernehmen bereit sind.

 

car_ving_tour18_104352

Kurvenräubern in slovenischen Hainen.

 

Erstaunlich, wie zügig sich der Multivan (ein Nutzfahrzeug von hohem Gewicht und mit hohem Schwerpunkt) bewegen lässt. Obwohl der Wagen mit bloß mir, dem Bett und etwas Gepäck quasi leer ist, federt er komfortabel und liegt gut. Mit sieben Passagieren an Bord wäre er noch gelassener, nicht jedoch die Passagiere, welche bei meiner sittlosen Fahrweise die Gesichtsfarben ändern würden wie Chamaeleonidae.


Mitten im Nirgendwo, auf der Kuppe eines sanften, von Gräsern und Blumen bewachsenen Hügels, umgeben von weidenden Kühen und Schafen und außer Acht gelassen von zwei nach Beute schielend kreisenden Bussarden, steht das Grenzhäuschen mit einem alten Land-Rover davor. Im raumflutenden Vogelgezwitscher wirft ein müder kroatischer Beamte seinen flüchtigen Blick auf unsere Pässe und sich daraufhin in sein Häuschen zurück in sein Sesselchen, um sein Schläfchen fortzusetzen.

 

car_ving_tour18_104349

Martins Nummerntafel ist noch in Slowenien, der Tacho schon im Nachbarland.

 

Slowenien ist aus, die Straße aber noch lange nicht. Im Gegenteil, es geht in diesem Stil noch lang so weiter. Wir fegen schwindelfrei durchs Unterholz, bis wir Brest erreichen, von wo ein wiederum appetitlicher Weg nach dem Rijeka vorgelagerten Matulji geht. Hier ist kurz Schluß mit lustig, die Umwelt ändert ihr Antlitz von grün auf betonesk und es herrscht scharfer Berufsverkehr. Wie reagieren wir? Kaffee!

Wir werden uns kurz auf die Stadtautobahn verfrachten und Rijeka umfahren. Die Küstenstraße ist in Reichweite und auf diese wollen wir so schnell als möglich.

 

car_ving_tour18_104358

Das erste und einzige Mal auf der Autobahn.

 

In Bakar verlassen wir die doppelspurige Tristesse und haben bis zum Zielort 166 km Kurven im Sinne von 2 gemütlichen, vielleicht auch sportlichen Stunden vor uns. Wir suchen uns einen kleinen Strand, um Martins thermische Probleme seiner Goretex-Sauna in liquidem Erfrieren einem Nullzustand zuzuführen.

 

car_ving_tour18_1_8315

 

Ja, das Wasser ist noch recht frisch im Mai, aber noch erfrischender kann ein Renault-Fahrer sein, der mir die bei Tempo 15 die Kurve abschneidet, aufdass eine Mauer mit der Karosse des Multivan holpriges Kroatisch spricht. Das Kreischen des Blechs dauert eine gefühlte Ewigkeit. Mir fällt Alice im Wunderland ein. Alice: „Wie lange ist für immer?“ Weißer Hase: „Manchmal nur für eine Sekunde“.

 

car_ving_tour18_104360.jpg

 

Als ich Martin seinen VW zeige, ist er dermaßen angetan von meiner Kunst der Kaltverformung, dass er vorschlägt, die Hälfte der Reparaturkosten zu übernehmen. Er ist mein Freund. Als ich später und daheim von der Spenglerei darüber informiert werde, dass die Wiedergutmachung der Misere einen hohen sechsstelligen Betrag ausmachen wird, willige ich ein.


car_ving_tour18_1_8308

Die E65, ein Kurven-Reich.

 

Es ist Mai, die großen Touristenströme stecken noch ungebündelt in vorwiegend deutschen Büros fest und den Kroaten scheint an diesem Samstag Nachmittag der Sprit zu teuer zu sein: Kein Mensch ist unterwegs. Der nächste flow ist da!

 

car_ving_tour18_1_8977

Im Vorbeifahren erwischt: Maikäferidyll.

 

Wir überholen auf der gesamten Strecke genau 2 Autos, ich hingegen werde manchmal von Motorrädern geputzt, welche die Straße zur Rennstrecke umwidmen, wovon auch die alle paar Kilometer an den Leitplanken befestigten Blumenkränze Zeugnis geben. Mein Kollege ist zum Glück ein bombensicherer Fahrer, was nicht von Ungefähr kommt.

 

car_ving_tour18_1_8916

 

Martin war 16, als er mit dem Motorradfahren begann. Da besaß er eine flotte Zündapp (für die Jüngeren: nein, das ist keine Smartphone-App), mit 18 kam er schon um 130 km/h schneller daher und seither hat er durchgehend Fahrpraxis. Er kann es also.

 

car_ving_tour18_1_8338

Links Lieblingsstrasse, rechts Wasser mit Pag.

 

Unsere 2. Etappe endet kurz vor Sonnenuntergang in Starigrad, etwas oberhalb von Zagreb. Von den Eindrücken (nicht jenen im VW-Blech) und der Freude am Fahren immer noch leicht entrückt, lassen wir uns von kühlem Bier wieder in Form bringen. Aber nicht lange: Weil Martin heute zu lang im Wasser war, um seinen Problemzonen Erholung angedeihen zu lassen, müssen wir in der 3. Etappe ein paar Kilometer gutmachen. Wie traurig!

 

car_ving_tour18_1_8354

Nicht von Hässlichkeit entstellt: Schlafplatz in Starigrad.

 

Die Route für den nächsten Tag ist klar, die Bäuche sind gefüllt, die Zähne sind poliert. Was wird das Morgen daherbringen? Keine Ahnung, indes wünschen wir einander eine gute Nacht, während sanfte Wellen an der Küste leisen Kiesel rascheln lassen.


Um unser Etappenziel zu erreichen, Mlini, 10 Minuten hinter Dubrovnik nämlich, stehen wir zeitig auf und fahren los, ohne gefrühstückt zu haben. Die am Vorabend geplante erste Destination der Route wird zuvor noch ins Navi eingegeben: Knin. Das ist eine Kleinstadt im Hinterland Nord-Dalmatiens und wir fahren trotzdem in diese Gegend und nicht weiter auf der attraktiven Küstenstraße, obwohl wir da schneller wären. Denn es gibt ja einen Rückstand aufzuholen…..

Aber wir legen Wert darauf, dass unsere Wegstrecken stets von unterschiedlichen Bildrahmen geziert werden und weiters: Wir waren da noch nie.


Etappe 3 | Starigrad – Knin – Sinj – Trilij – Cista Provo – Makarska – Dubrovnik – Mlini

 

tour_3

 

Die Navis weisen uns also den Weg nach Knin und da sie markenident sind, wird nach einiger Zeit auffällig, dass Martin, dem ich ja stets den Vortritt lasse, auch wenn seine KLE beim Beschleunigen qualmt wie ein Wohnungsbrand, bei jeder Kreuzung in die falsche Richtung blinkt. Einigkeit herrscht bei den TomToms nur in der Destination vor, nicht aber über den Weg dorthin. Die Anschauungen darüber stehen einander sogar diametral gegenüber. Da Martin sich aber, im Gegensatz zu mir, additiv auf eine analoge Straßenkarte stützen kann, die er unter der Klarsichthülle seines Tankrucksackes vor Augen hat, folge ich ihm artig.

 

car_ving_tour18_1_8397

 

Die oppulente Landstraße beginnt sich irgendwann relativ abrupt zu verjüngen und plötzlich getraut sich nicht mal mehr der Asphalt, weiter in die Landschaft vorzudringen.

 

car_ving_tour18_1_8367

Wer von uns hat das bessere Navi?

 

Für viele Kilometer rasseln wir durchs outback, bis wir irgendwann irgendwo wieder auf befestigtes Terrain gelangen. Nicht, dass man auf Schotter bummeln muss, doch etwas mehr Grip ließe die Zielsetzung Dubrovnik wieder realistischer erscheinen.

 

car_ving_tour18_1_8369

 

So pflügen wir vergnügt durch die kroatische Botanik bis zu einer Einmündung, bei welcher ich die andere Richtung hätte nehmen sollen, aber bitte. So gelangen wir auf eine dieser unglaublich langen Geraden, die man aus Mathe noch kennt, aber höchstens in den USA mal gefahren war, wenn man, so wie ich, in den USA mal Geraden gefahren war.

 

car_ving_tour18_1_8362

 

Für den Martin ist das nicht sonderlich spannend, ich aber spiele Luftgitarre zu Porcupine Tree und lenke mit den Füßen. Bald, nach ein paar dieser Geraden, bremst Martin runter in der Schärfe von Trinidad Moruga Scorpion, denn plötzlich ist da ein rechtwinkliger Abzweiger nach Obrovac. Machen wir, queren unten den Fluß Zrmanja und schlängeln uns auf gegenüberliegender Seite wieder rauf, wie es sein Navi sagt.

 

car_ving_tour18_1_8359

Obrovac mit Fussballplatz.

 

Während mir Martin auf den Kehren hinter Obrovac davonzieht, folge ich ihm, indem ich mich an den verbleichenden Rauchwölkchen orientiere; mein Navi sucht derweil immer noch Europa.

Die Straßen bleiben äusserst reizvoll und wir damit beschäftigt, sie ihrem Zweck gemäß dem Fahrspaß zuzuführen, die Lenker in festen Händen. Es ist ein wonnevolles Dahinschnüren auf einem zeitlosen Kontinuum mit Mittelstreifen.

 

car_ving_tour18_1_8406

Magische Gegend: Die Krka hat sich eingegraben.

 

Im Galopp nehmen wir die Strecke nach Knin, um endlich ein kleines Frühstück abzustauben. Die Kroaten sind ja ein sehr gastfreundliches Volk, nein, sie waren das auch immer schon, so wie wir alle eigentlich: freundlich, weltoffen und aufgeschlossen. Wir ÖsterreicherInnen waren von den Problemen ja auch nicht wirklich betroffen, welche in den nahen Erinnerungen der Menschen dort existent sind.

 

car_ving_tour18_1_8399

 

Die Kroaten hatten ja vor relativ kurzer Zeit echte Kriege zu ertragen, Angriffskriege, die ohne UNO-Mandat daherkamen. Wir wissen es, sehen es überall, vor allem in den Neubauten und an den Altlasten und sind erleichtert darüber, nicht der Nato anzugehören und deshalb als Österreicher herzlich willkommen geheißen zu werden (die Deutschen mag man auch noch, weil sie nicht mitgemacht hatten….).

 

car_ving_tour18_104354

Knin, der Blick vom Frühstück aus. „Malen und Kleben“ Okovi.

 

Da unsere Destination noch weit weg ist, tummeln wir uns. Martin zweigt gleich mal falsch ab und ich folge in blindem Gehorsam Richtung Sinj. Der Weg dorthin ist von einmaliger Schönheit und wiederum ohne nennenswerte Kollegen im Straßenerkehr. Niemand und nichts kommt uns dazwischen. Wir können einfach nur fahren. Wäre da nicht der bereits mit Gewebeband restaurierte Hocker der KLE, der Martin in jedes Wasser zwingt, das auf dem Weg liegt.

 

car_ving_tour18_1_8384

Peručko jezero.

 

Der Peručko – Stausee empfängt Martin in freundlicher Kühle, während ich mir bewusst mache, dass wir uns schon inmitten jenen Gebietes befinden, in dem die Karl-May-Filme zwischen 1962 und 1968 gedreht worden waren. Wir werden im Laufe unserer Reise aber noch öfters über Karl May stolpern und uns dabei nicht wundern, warum diese Landschaften als Kulissen erwählt wurden.

Martin ist wieder beledert, es geht weiter Richtung Sinj und Trilj, welche wir emotionslos durchqueren, obwohl sie so reich an erwähnenswerter Geschichte sind.

 

car_ving_tour18_104351

 

In sanften, weit geschwungenen Kurven, endlosen Geraden und kroatischer Schlagermusik mit Ukulele, Mandoline und pathetischen Sängern gelangen wir nach Cista Provo. Martins Navi möchte abbiegen, meines nicht. Kurze Lagebesprechung.

 

car_ving_tour18_1_8365

Es geht nach rechts, sagt die Straßenkarte zum Navi.

 

Wir entscheiden uns für den 90º -Abzweig und werden es nicht bereuen. Denn schon ein paar Kilomenter später werden wir mit einem OHA-Erlebnis dafür belohnt worden sein. Die 39er zieht einen langen Strich, winkelt dann ab und verfügt sich in wenige Kehren, beruhigt sich nochmal kurz und steigt danach an, den Berg hinauf bis zu einem unerwarteten Scheitelpunkt in einer unscheinbaren Linkskurve und: OHA!

 

car_ving_tour18_1_8417

Die Insel Brač, das Meer und die 8er – Küstenstraße.

 

Martin und ich parken uns ein, steigen ab bzw. aus und stehen Seite an Seite und wortlos vor dem Anblick, der an Majestät der Schöpfung und der Lust, die Straßen gleich fahren zu dürfen, eine Vollkommenheit im hedonistischen Sinn unserer Reise verwirklicht. Wir sind vereint im Genuss dessen, was wir sehen und tief verbunden durch einen identen, glückseligen, debilen Grinser.

 

car_ving_tour18_1_8425

 

So fahren wir die letzte Kehre im Tempo einer Fronleichnamsprozession und in derer Gemessenheit andächtig den felsigen Hang hinab, um uns für den restlichen Tag der 8er zu überlassen: 180 km Küstenstraße liegen vor uns, die Sonne freut sich schon auf den Feierabend, ein paar Autos sind unterwegs und wir nehmen Fahrt auf.

 

car_ving_tour18_1_8467

 

Die antike KLE mit Martin zischt ab und hinterlässt eine Feinstaubzone, ich selbst habe einige Autos vor mir und verfahre wie gewohnt: Rechts ran, warten und zwar so lange, als möglich, um Abstand zu gewinnen. So lässig der VW-Bus zu fahren ist, aber das Überholen bei höheren Geschwindigkeiten ist nur etwas für gute Nerven, denn die Geraden sind eher kurz und der Gegenverkehr im Fall ziemlich schnell unterwegs und 131 PS und 2 Tonnen und so……

Es sind sieben Minuten vergangen und erst jetzt taucht ein Auto im Rückspiegel auf. Ein schneller Start scheitert ja nicht mehr am Vorglühen, also bin ich sofort wieder auf der Bahn und weiß: Vor mir ist niemand!

Martin wartet an der bosnischen Grenze auf mich. Seinem Gesichtsausdruck nach hatte auch er die Straße genossen (grinst debil). Ganze 10 km ist die Straße durch Bosna i Hercegovina lang, bevor wir die nächste Grenze passieren und wieder in Kroatien sind.

 

car_ving_tour18_1_8496

Kurz in Bosnien-Herzegowina, Sonne hat auch kurz time-out.

 

Wir fahren, getränkt von einer dionysischen Kurvendichte ohne Teilhaber, in persönlichen Rhythmen Richtung Dubrovnik. Dort treffe ich zufällig Martin wieder. Er hatte thermische Probleme mit seiner Rückseite bekommen, denn der letzte Schwumm war Stunden her. Ich beruhige ihn mit der Aussicht auf den bevorstehenden Regen, der für Abkühlung sorgen würde. Er reagiert in einer Spielart von Empathie, die mein Zynismus gar nicht verdient: Martin steigt auf und fährt geradeaus in den Regen. Dieser ist aber zum Glück von seichter Art. Dubrovnik wird hinterrücks umfahren, denn wir sind keine Touristen im herkömmlichen Sinne, sondern Fremdenverkehr.

 

car_ving_tour18_1_8513

Kitsch als integraler Bestandteil der Fotografie. Hier mein Beitrag!

 

In Mlini legt sich Martin trocken und ich mich im Bus hin. Der Schlaf könnte mich sofort ereilen und Martin heute auch. Nur der Hunger und die zu besprechende Routenplanung lassen uns eine Zeit lang verweilen im Restaurant ums Eck. Noch sprechen wir darüber, wie umwerfend die heutige Route gewesen war, morgen indes ist Halbzeit und wir wollen unser Ziel erreichen: durch Montenegro nach Durrës, Albanien. Nur ca. 300 km, aber was wird uns in Albanien erwarten? Wir lassen uns überraschen…….

 

car_ving_tour18_1_8711

Markenkollege, von zögerlicher Gläubigkeit. Besser jedoch, als in die Kirche zu fahren.


 

 

 

Text & Fotos © Peter Philipp 2018