Wir schreiben den 4. Reisetag, der die Halbzeit markiert und zugleich das Erreichen von Durrës als Ziel in sich trägt. Wo sind wir gerade? Richtig, Mlini, Kroatien.


4. Etappe | Mlini – Herceg Novi – Kotor – Kreis Lezha – Durrës

 

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„Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen, dass wir träumen.“ (Novalis). Früher als alle anderen sind wir wach auf dem Stellplatz. Manche Vögel zwitschern bereits in aufdringlichem Minnesang und irgendwo glaubt ein Hahn, die Sonne würde wegen ihm aufgehen. Martin wirft sich in seine Rüstung und seine Kawa an, ich dagegen lege Bachs Brandenburgische Konzerte ein. Straße: Fahren.

Ein von montenegrinischem Morgentau beschlagener Grenzbeamter untersucht den VW-Bus auf Irgendetwas hin. Die grüne Karte wird immer verlangt, aber im Bus findet sich nichts außer eine Packung Goldbärli von Haribo, die ich ihn herzlich einlade, zu beschlagnahmen.

Wir dümpeln auf der E65 durch Montenegro, das bei uns früher Schwarzenberg hieß, weil es manchmal auch österreichisch war. Die E65 verläuft in Küstennähe und ist vom Berufsverkehr ausgelastet. Diese Route zu nehmen ist uns quasi aufgezwungen in Ermangelung an Alternativen. Wir haben also Zeit zum Schauen und stellen fest, dass die Küstenregion eine einzige große Neu-Baustelle ist.

 

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Martin beneidet den Dampfer wegen dessen Feinstaubwerte.

 

Nach einem schnellen Frühstück gleiten wir untertourig in das touristische Kotor, um uns bei einem Espresso zwischen der Stadtmauer des fast 2000 Jahre alten Ascrivium und dem Sunset-Boulevard inkl. Kreuzfahrtschiff am südländischen Flair zu laben. Hier ist aber die Hölle los – nichts wie weg.

 

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Wir folgen der P22 mit der Geduld einer Klosterschwester beim Rosenkranzbeten. Ein Tunnel, der das Vorhaben des Berges untergräbt, uns in endlose Serpentinen zu verstricken, führt uns auf die E80 Richtung Bar (Бар).

 

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Die Serpentinen hätten uns angelacht. Was wir jetzt nicht wissen: Wir werden sie noch fahren….

 

Nach dem großen Beben von 1979 wurde die Hafenstadt Bar praktisch neu aufgebaut und so sieht sie auch aus. Eine auf Stahlbeton basierende Tragik. Breite Verkehrswege mit vorsorglich eingeplanten Kreisverkehren in der Leere. Die architektonische Verwüstung des Umfeldes kommt also noch, die Infrastrukturen wie Tankstellen oder Shoppingcenter stehen schon an diesen Straßen, als hätte man die Bauplätze im Gasthof ausgewürfelt.

 

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Die orthodoxe Kirche von Bar als Ausnahme des vorherrschenden Baustiles: Quader.

 

Von hier ist es nur mehr eine Stunde bis zur albanischen Grenze. Die Fahrt verläuft routiniert und unspannend. Die Grenze selbst stellt sich dar wie eine Erinnerung an die Zeiten vor dem Schengener Abkommen, nämlich als stabil stehende Warteschlange. Das letzte Mal, an das wir uns erinnern können, so lang über eine Grenze gebraucht zu haben, war im Februar am deutschen Eck…….

Insofern kommen wir mit einer halben Stunde gut weg. Martin mit seiner Kawa haben die albanischen Grenzer am Fußgängerstreifen schnell durchgewunken, wahrscheinlich der Luftqualität wegen, aber ich hänge mit dem VW-Bus unter lauter Verdächtigen fest, die im unterstellten Sinne haben, ihr Auto in Albanien verscherbeln zu wollen.

 

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Schwarzer Berg sagt Adieu.

 

Man lässt mich überraschend rasch passieren. Und nun, in Albanien, ändern sich die Gegebenheiten. Ich behaupte ja stets und gern, dass sich das Vermögen einer Volkswirtschaft vom Straßenzustand her bemessen lässt. Tatsächlich und nach wie vor ist Albanien das ärmste europäische Land.

Die erste Hauptstraße Albaniens gibt mir aber Unrecht, denn sie ist asphaltiert. Der Weg dorthin allerdings nur ungefähr. Die komfortable Ruhelage des gelassenen VW-Fahrwerkes weicht einem ungelenken und wenig elegantem Dahinstolpern von einem Schlagloch zum Nächsten. Martin umfährt die Blessuren in Schlangenlinie, bei mir hüpft die CD.

 

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Dem Namen der Tankstelle nach gibt´s hier keine Zapfhähne.

 

Nach dem nachgerade mondänen Küstenstreifen Montenegros kommt der Tapetenwechsel abrupt: Verlassene Häuser, vergessene Rohbauten, Menschen, die einsam neben der Straße auf Irgendetwas zu warten scheinen und Fahrzeuge, deren Baujahre in die Zeit der Illyrer zurückreichen.


Es wird langsam Abend, wir schnüren auf der E762 Richtung Süden in schütterem Verkehrsaufkommen und freuen uns über das Wiedersehen mit Autos unserer Kindheit, die bei uns schon lang aus dem Verkehr gezogen sind.

 

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Der Uhrzeit angemessen erhebt sich die Frage nach dem Schlafplatz. Wir googeln ein kleines Resort am Meer, justieren die Navis und biegen korrekt navigiert rechts ab. Eine einandhalbspurige Straße führt uns durch Äcker und Felder, alte Männer und Frauen marschieren endlose Wege zwischen spärlich auftauchenden, armseligen Häuschen, von wo aus uns Kinder zuwinken.

 

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Man sieht dem Bild die Dramatik des Straßenzustandes nicht wirklich an….

 

Bei der Straße handelt es sich um eine zufällige Anordnung von Schlaglöchern mit etwas Asphalt rundum. In höherer Schrittgeschwindigkeit und nach 20 Minuten gelangen wir zu einer T-Kreuzung. Links geht ein Feldweg weiter, rechts auch, inmitten der Fahrspuren gedeiht halbmeterhohes Grün. Kehrtwendung.

Martin raucht mit seiner Enduro den Slalom retour an, ich dagegen leide mit den Stoßdämpfern lange 20 Minuten bis zu dem Punkt, an dem ich feststelle, dass ich falsch bin. Abzweiger verpennt oder durch das Gewackel übersehen. Und Martin ist weg. Handy? Kein Netz. Super. Beschließe, einfach mal zu warten.

Siehe da, ein kleines Licht inmitten einer schwarzen Wolke erscheint am Horizont. Die Kinder haben Martin die Richtung gedeutet, wohin sie mich fahren gesehen hatten. Tatsächlich ist der VW- Bus in Form des T5 in Albanien eine höchst seltene Erscheinung. Wir haben in den zwei Tagen keinen einzigen Zweiten gesehen.

Glücklich wiedervereint entschließen wir uns müde und hungrig, einfach nach Durrës reinzufahren. Also ab auf die Piste, Kilometer fressen.

 

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Diese Brücke wurde wahrscheinlich von den dorischen Kolonisten erbaut.

 

Es liegt noch ein Stück Autobahn vor uns und genau bzw. spätestens hier endet unsere Routenempfehlung. Für Albanien hätten wir uns schlauer machen müssen, aber das war nicht die Zielsetzung unserer Reise. Diese basierte auf dem Zufall und dem Prinzip der Überraschung, welcher Qualität auch immer.

Die Autobahn ist nur auf der linken Spur seriös befahrbar und es sind absolut übertriebene 90 km/h erlaubt. Auch auf der rechten Spur, die völlig ruiniert ist. Rechts gibt es auch keine Leitplanke, sondern rechtwinklige Zufahrten, von wo alte Mercedes mit 4 km/h einbiegen. Auf dieser Straße lebt man gefährlich, aber die Albaner pfeifen trotzdem mit 120 dahin. Vielleicht überspringt man bei diesem Tempo die Schlaglöcher…

 

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Der plötzliche Stau jedenfalls ist einem wilden Unfall mit vier Beteiligten geschuldet. Alle Autos Schrott, Männer winken Tschick rauchend den Verkehr durch eine schmale, mit Glasscherben und Plastikteilen übersäte Gasse. Beim Vorbeifahren übertönt eine bewegte Männerdiskussion kurz die ewige Harmonie des Wohltemperierten Klavieres, oder umgekehrt.

Geläutert sind wir nun mit 70 statt mit 90 unterwegs. Durrës ist gleich erreicht. Diese Stadt übrigens ist eine der Ältesten Albaniens und würde eine bewegte Geschichte zu erzählen haben, wenn man sie wissen wollte. Wir Banausen suchen aber nicht die Historie, sondern was zum Essen und Schlafen.

 

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175 Lek für 1 Liter Diesel sind ca. 1,4 €.

 

In Durrës verfahren wir uns gleich mal zünftig. Unsere Navis verzweifeln aneinander: Das eine will da hin, das andere nicht. Wo immer wir halten, um uns zu beraten, kommt ein freundlicher Albaner hinzu und versucht, in improvisiertem Deutsch oder Englisch zu helfen. So finden wir bald den kürzesten Weg in die Stadt. Und wie es der Zufall will, erspähen wir dort ein Wohnmobil mit deutschen Taferln und glauben, das sei ein Campingplatz.

Der Deutsche ist lieb und wortreich, jedenfalls hat er nix dagegen, dass wir ihn für eine Nacht einparken, mitten in der Stadt und trotzdem nahe dem Meer. Einen Campingplatz gibt es hier nicht, nebenbei, meint der deutsche Freund, aber eine Unmenge Mosquitos mit unbändigem Durst.

 

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Es ist, wie es ist. Ein schmales Abendessen geht sich aus und wir wandern danach noch ein paar Schritte der Prachtstraße entlang, um etwas von Durrës gesehen zu haben. Freundliche Menschen, denken wir uns, aber fertige Umgebung. Müll überall. Man kann selbst am Gehsteig in ein metertiefes Loch fallen, wenn man blöd- oder auf sein Handy fixiert ist.

 

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Den morgigen Tag haben wir uns jedenfalls ausmachen können, die Route steht. Wir durchqueren Tïrana und nehmen eine interessante Straße durch den Dajti Mountain National Park Richtung Mazedonien. Von dort aus geht´s in den Kosovo. Weil ich den Ausgang der Geschichte ja schon kenne, schreibe ich nur: Jessasna.

 

 


Etappe 5 | Durrës – Tïrana – Shkodär – Danilovgrad – Resna – Kotor – Bijela

 

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„Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo man dem Weltgeist näher ist als sonst. Und eine Frage frei hat an das Schicksal.“ (Friedrich Schiller)

Meine Frage an das Schicksal wäre: Wozu Mosquitos? Natürlich, ihr Sinn liegt im Sein, so wie auch bei uns. Sie konnten sich evolutionär entwickeln, weil nicht jede Spezies anatomisch dazu in der Lage war, sie rechtzeitig zu erschlagen.

Nach der nächtlichen Sauforgie jedenfalls und nachdem nun jedes Einzelne der Mädels randvoll mit Blut sein sollte, stehen wir um 6 Uhr morgens vor dem VW-Bus und können unsere Müdigkeit nicht fassen. Ein betagtes Weibchen, in ein lautes Selbstgespräch verwickelt, kehrt mit einem Reisigbesen Sand von der Straße. In der Hoffnung, dass irgendwo ein Café schon geöffnet hat, satteln wir auf und bewegen uns ins Zentrum von Durrës.

Kaffee an der Strandpromenade. Eine Alte sammelt Müll auf, ein Alter sitzt einen Tisch weiter und hält sich sein tragbares Radio ans Ohr. Ein Junger serviert Kaffee und den Eindruck, ebenfalls sehr, sehr müde zu sein. Eine Bande von Straßenhunden jagt eine andere Bande von Straßenhunden.

 

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Der Strand von Durrës ist von überschaubarer Romantik.

 

Kinder sind auf dem Weg zur Schule und die Mode uniformiert die Masse: Sie alle sehen aus wie bei uns, vor allem die Mädchen. Die viel zu engen kurzen Hosen sitzen als Ganzes viel zu hoch oben und geben 13-jährige Pofalten preis. Riesige Handys in zu kleinen Händen. Und auch im Radio läuft das Gleiche wie bei uns: Der tätowierte amerikanische Nager singt Love Yourself und ich frage mich, was tut der in Albanien? Aber so funktioniert unsere Welt. Versorgt von einigen Wenigen bekommen wir alle das Gleiche. Globalisierung? Nein, Weltherrschaft!

Als Zielgruppe aus Allem rausgefallen nehmen Martin und ich die heutige Etappe in Angriff. Erstes Ziel: Tïrana. Der Weg dorthin verläuft auf einer der besten Straßen des Landes: einer kaputten Autobahn. Tïrana kündigt sich durch links und rechts an der Autobahn hingestellte Industriebetriebe sehr gemächlich an.

 

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Škoda Tïrana.

Es ist der Stau, der glaubwürdig besiegelt, dass man in der Hauptstadt gelandet ist. Und dieser Stau hat schon etwas recht Südländisches, wenngleich nicht die Attribute einer Stadt wie Kairo, wo der Begriff Stoßverkehr sehr konkret die dortige Fahrweise beschreibt und die Hupe kein Signalhorn, sondern ein Instrument im Orchester darstellt.

 

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Martin wird langsam warm.

 

Die Stadt verfügt über ein gnadenloses Einbahnsystem, das den Eindruck hinterlässt, dadurch unendliche Umwege zu fahren. Die Navis sind am Rande der Selbstaufgabe, obwohl sie eigentlich das Management der Thematik beherrschen sollten. Tapfer gegenüber der Plagsal eines Tempos nahe am Stillstand rollen wir eselsgeduldig bis hin zu jener Straße, die uns durch eine äußerst reizvolle Gegend, die nicht umsonst zu einem Nationalpark erklärt wurde, führen will.

 

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Kreisverkehr in Tïrana.

 

Die „Straße“ gestaltet sich als totgefahrenes Schüttgut und was davon hart genug ist, noch nicht zu Sand zermalmt worden zu sein, wehrt sich auch weiterhin dagegen, während sich der Sand durch das Gewicht des Verkehrs in die Lüfte verzieht und ein boshaftes Loch zurücklässt. Jeweils.

 

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Der Einstieg zur „Straße“ = das Ende des Asphaltes plus Ochsenauge (Merc´W123).

 

So läuft mir Martin enduresk davon, der VW-Bus hat V-max 20 km/h. Das wird zäh, denk ich mir, als Martin zurückkommt. Er hat den weiteren Verlauf dieser Route ausgespäht: Die „Straße“ bleibt so und wir werden bei diesem Tempo wahrscheinlich erst zu Weihnachten im Kosovo ankommen. So weit wir schon sind – wir kehren um und fahren nicht nur die ganze Misere retour, sondern auch den Tïranischen Verkehr und die unsäglichen Einbahnen mit 20er-Beschränkungen ein zweites Mal. Navis führen uns in Sackgassen, die nicht im Schotter, sondern im Geröll enden. Jessasna!

Wir gehen auf einen Kaffee, um Lagebesprechung zu halten mit einer situationselastischen Entscheidung: Wir fahren die gleiche Strecke zurück, auf der wir hergekommen waren, bis Shkodär. Von dort aus werden wir nach Montenegro rauschen. Ob es eine gute Idee ist, dabei das Hinterland zu durchpflügen, wird sich noch herausstellen…..

Es ist natürlich etwas unsexy, die selbe, unspannende Route nochmals zu nehmen, aber nach Shkodra kommen wir ja wieder in unentdecktes Land.

 

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Eine Straße ohne Eigenschaften führt uns in Božaj über die Grenze. „Problem?“, fragt der Beamte, wohl bemerkend, dass wir in Albanien einen one-night-stand hatten. „Jo jo, ende!“, sage ich zurück, er zieht an seiner Tschick und grinst. „Udhëtim i mirë!“. „Falemnderit!“. Und weg wir sind. Der Asphalt ist nun deutlich weniger grantig als gerade noch in Albanien und geschwinde ist Podgorica und danach Danilovgrad erreicht. Und genau hier ist unser Abzweig nach Čevo. Und ab genau hier können wir wieder die Routenempfehlung aktivieren – und zwar bis nach Hause!

 

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Es ist der Beginn eines liebreizenden Wegleins, über das wir größtenteils einspurig, manchmal etwas exponiert, in jedem Fall aber sehr, sehr kurvig durch hügeliges Terrain nach Resna kommen werden. In den gut anderthalb Stunden macht Martin ein kurzes Schläfchen, zieht sich wegen Nieselregens seinen Gummi über, wir scheuchen Schafe von der Straße und begegnen niemandem außer sieben VW Golf.


Resna – Cekanje – Žanjev Do. Das Weglein bleibt in Ungefähr so. Und plötzlich schauen wir runter auf Kotor:

 

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Ohne es realisiert zu haben, befinden wir uns ganz droben im Satellitenbild der Etappe 4, am Beginn der Serpentinen. Die hinter Schleierwolken darbende Sonne sendet diffuses Licht in eine unwirkliche Landschaft, die wir schweigend bestaunen.

Alles Gute kommt von oben, nachdem es sich sattgesehen hat: Die Talfahrt ist mit über 20 Kehren sportlichen Schwüngen zugetan. Eine zinnenhafte Steinmauer begrenzt die Straße, auf der sich zumeist maximal ein Auto ausgeht, dem Tale zu. Fährt man gegen die Mauer, ist das Auto schon hinüber, noch bevor man runtergekugelt ist. In aller Kürze:

Unten angekommen und Adrenalin ausdünstend würde ich die Strecke gern nochmal fahren, nämlich aufwärts, also unter Zug. Martin überlegt kurz, ich auch und wir lassen es bleiben. Der Tag ist schon lang genug, Martin tut der Hintern weh und letztlich reguliert der Hunger die Hormonlage. Nach Bijela ist es außerdem nicht mehr weit, denn wir werden nicht wie bei der gestrigen Hinfahrt die ganze Bucht ausfahren, sondern kurz vor Kotor links abbiegen Richtung Fährhafen Lepetane-Kamenari.

 

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Am Weg zur Fähre.

 

Am Campingplatz Zlokovic werden wir von einem lockeren Typ auf einen Standplatz fast schon im Meer eingewiesen, von wo es drei Meter zum Restaurant sind, von wo es zwei Minuten zu einem kleinen Bier sind, das nach einer Minute weg ist.

Heute werden wir keine Route mehr planen, sondern genußvoll den Tag revue passieren lassen, Essen aufnehmen und schlafen gehen. Morgen ist vorletzter Tag, also der letzte Tag vor dem letzten Tag. Schade eigentlich.


Das hehre Vorhaben, uns früh schlafen zu legen, ist überraschend gescheitert. Eine tausendjährige Reisegruppe aus Liverpool, von feinem britischen Humor und königlicher Trinkfestigkeit, legt uns im Restaurant vor Anker.

 

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Dennoch sind wir vor Sonnenaufgang in der Vertikalen, zumindest halbwegs. Die Routenplanung an der Mole ergibt folgendes Ergebnis:

Etappe 6 | Bijela – Trebinje – Stolac – Čapljina – Ljubuški – Vrgorac – Baška Voda – Omiš

 

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Martin startet seine Kawa viel zu früh für alle anderen auf dem Stellplatz, die aber durch eine Rauchwolke anästhesiert werden und deshalb sehr tief weiterschlafen.

Es sind nur ein paar Kilometer, die wir in forscher Gangart dem eigenen und vollständigen Erwachen widmen und schon sind wir an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina.

 

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Der Grenzbeamte hegt den Verdacht, wir würden größere Mengen Alkohol ins Land schmuggeln, kommt aber nicht auf die Idee, in unseren Blutbahnen danach zu suchen. Erheitert und beschwingt reisen wir nach Herzegowina ein, Martin knattert davon und ich versuche, mit dem VW-Bus dahinterher zu kommen. Der 5-Zylinder mit der Automatik gereicht mir täglich zum Vergnügen und es ist sehr schade, daß er in den aktuellen VW-Bussen nicht mehr vorkommt. Martin und ich lieben diese Bauart ja allein schon des Klanges wegen.

 

Wie man sieht herrscht tote Hose auf den Straßen. Das bleibt auch so, eigentlich bis kurz vor Österreich…….

Die Gegend hat sich in seiner werdenden Gestalt vor der Grenze nur langsam angekündigt. Ab der Grenze scheint sie sich radikal geändert zu haben und wir werden das später mal als tektonischen Patriotismus bezeichnen. Es hat etwas Kärgliches hier, wäre nicht das viele Grün.

Wir sind in einem breiten Tal und am einen Rand schmiegt sich eine gewundene Straße ans gewundene Gelände. Schlangen queren, auch kleine Schildkröten, vor allem jedoch Abermillionen von Schmetterlingen. Wir verlangsamen, um der huldvollen Zukunft jedweden Wesens Achtung entgegenzubringen. Das Tal selbst fühlt sich schön und strahlt das auch aus. Es wurde am siebten Tage von Gottes Frau geschaffen, weil es ihr Mann vergessen hatte……

 

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Die Reise durch diese Gegend überdauert eine kostbare Ewigkeit lang Kurve um Kurve, zwischen welcher Radien sich dann und wann eine Gerade darin vergnügt, gerade zu sein. Erst viel später steigt das Asphaltband im Gelände auf, das Tal der Schmetterlinge bleibt hinter uns, obwohl wir es so gern mitgenommen hätten und das Blau des Himmels stimmt sich plötzlich zum Blaugrau um.

Aus dem Blaugrau wird nun ein Dunkelgrau und ich denke an meinen Zweiradfahrer. Aufgrund der Landschaft ins Trödeln verfallen bin ich wahrscheinlich ziemlich im Rückstand und er womöglich schon im Regen.

 

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In Ljubuški zeigt mir mein schizoides Navi einen Abzweig an, den ich nun glauben kann oder nicht. Es beginnt ein bisschen zu regnen, gleich darauf regnet es stark. Jetzt hagelt es und ich hoffe, dass Martin, den ich versuche, per Handy zu erreichen, nicht von den Eiskugeln verprügelt wird. Die Liverpooler hätten in eleganter britischer Art etwas gesagt wie: “ This fuckin´ guy is fuckin´ bloody fucked up.“

Abwarten oder Gas geben? Die Scheibenwischer überholen einander im Hilfsdienst, die Winterreifen greifen tief und generieren zweimeterhohe Wasserfontänen. Das nasse Zeug landet auf der Windschutzscheibe, dass man glaubt, man sei Unterwasser. Nach einer halben Stunde ist das Unwetter abgehängt, verfolgt uns aber Richtung Süden zürnend wie flott.

 

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Martin ruft an – er sei im Trockenen und auch nie nass geworden. Und er erwarte mich, um sofort weiterzufahren, denn das Unheil sei von ihm aus sichtbar und würde rasch näherkommen.

 

Bis jetzt ist noch kein Strafzettel aus Herzegowina eingelangt, aber der Bus flog wie eine Hummel mit ladeluftgekühltem Turbo durch einen späten, dusteren Nachmittag.

Da ist er ja, der Herr Doktor, in Vrgorac und wir sprechen nur kurz den Weg ab. Ringsum grantelt ein lautstarker Himmel und die Atmosphäre knistert in vorauseilender List. Dass der Weg nach Omiš ein Fantastischer ist, macht ihn, im Gejagtsein und in spannender, spielerischer Panik, länger zur Küste zu brauchen als das Unwetter, zum racetrack. Auf dem Weg kommen wir an unzähligen VWs vorbei, die am Straßenrand stehen, auf etwas wartend oder für immer, indem sie von der Natur wieder mitgenommen werden, heim zu Mutter Erde.

 

Man glaube aber nicht, dass Herzegowina die Destination sei, in der bloß VWs Sterbehilfe erhielten (man errät den Baujahren nach, wieviel sie noch schuften mussten ab dem Zeitpunkt, an dem ihnen bei uns das Pickerl für immer versagt worden war). Andere fahren dort nämlich auch keinen Meter mehr:

 

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Das Unwetter nimmt die Abkürzung zur Küste, während wir im Kurvengeschlängel keine Meter machen. Aber plötzlich taucht die Küste auf, weit unter uns und die Wonne des Anblickes freut kurz. Wir nehmen eine klitzekleine Pause, schauen aufs Meer in erhabenen Posen, während sich hinter uns hohe Wolkentürme aufbauen.

 

 

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Das Gewitter wird uns letztlich einholen. Da sitzen wir aber schon als einzige Gäste in einem Wirtshaus auf einer Anhöhe vor Omiš und betrachten das Zusammentreffen des Unwetters und dem Meer: Zeus erhebt sich gegen Poseidon, erste Reihe fußfrei.

Martin bestellt Gefullte huhntrommelschlagel, ich die Gefullt huhndatei….und wir bestellen uns noch 300 MB Kartoffeln dazu. Was wir nicht zusammenessen können, nehmen wir in Alufolie als „huhn.zip“ mit auf den Weg.

 

 

Bald ist der große Tumult vorüber, der Regen indes nicht. Martin muß für die letzten paar Kilometer wieder mal ins Gummikostüm. Es schüttet zwar nicht mehr, dennoch sind wir auf einer Bananenschale mit Mittelstreifen unterwegs. Die schwarze Piste, unter südlicher Sommerhitze schon x-mal geronnen, zeigt sich von seiner bösen Seite.

Martin, dem man nicht nachsagen kann, schnell in Panik zu geraten, reagiert richtig und routiniert auf die unerwartete Vollbremsung des Autos vor ihm. Seine Sensoren sagen ihm, dass sich das nimmer ausgeht und behende legt er sein Bike kontrolliert, rutscht mit ihm dahin und kommt wenige Zentimeter hinter dem Nihilisten, der nichts mitbekommt und weiterfährt, zum Stillstand. Kein Funke schlägt in der Nässe, als das Metall auf Bitumen trifft.

Martin erhebt sich langsam, jedoch majestätisch, prüft seinen Zustand und danach den seiner Kawa. Nichts passiert, im Allgemeinen. Der Fußbremshebel allerdings schaut im rechten Winkel in die falsche Richtung. Das sollte zu beheben sein, und zwar mit einer Campinggaslampe.

 

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Die wenigen Grad, welche mit dem Glühstrumpf zu erreichen sind, reichen aus, um das Pedal mit anschließender manpower dorthin zu biegen, was knapp vor der Bruchgrenze liegt. Es sollte reichen, um heimzukommen und außerdem braucht eh kein Mensch eine Fußbremse…..

Die Wanderung zum abendlichen Bierchen führt durch den Campingplatz zum Strandcafé und zwischen vielen langweilig weißen, unförmigen Wohnmobilen hindurch. Die einzige Ausnahme ist ein Ösi mit seinem T3:

 

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Den hätten wir gern, schön, wie er ist. Gleich darauf denken wir an den geliebten Fünfzylinder und danach an den California Coast. Der Feind des Guten ist das Bessere! Aber wenn man sich entdeckt, aus welcher Idee der VW-Bus einst entanden war, ist es erstaunlich, daß es ihn überhaupt gibt. Denn einst sah er so aus:

 

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Im Café wird die Landkarte ausgebreitet und von guter Laune überschüttet. Der Mount Alan (Winnetou!) wird in die morgige Etappe integriert und eine nicht zu kurze Passage der Küstenstraße fühlt sich ebenfalls herzlich mit eingebunden.


 

 

 

 

Text & Fotos © Peter Philipp 2018